Der Fall Bettauer – Kommentar
Hugo Bettauer
Als unruhiger Sohn einer jüdischen Familie aus Baden bei Wien, tritt er nach Schulabschluss zum Protestantismus über, meldet sich freiwillig zu den Kaiserjägern, bei denen er wegen seiner jüdischen Abstammung derart misshandelt und diskriminiert wird, dass er in die Schweiz desertiert.
Nach dem Tod der Mutter wandert er mit seiner Jugendgeliebten nach Amerika aus, verliert durch einen Bankkonkurs sein vom Vater geerbtes Vermögen, beginnt in mehreren deutschsprachigen Zeitungen die Stories österreichischer Einwanderer zu schreiben und geht mit seiner schwangeren Frau hoffnungsvoll zurück nach Europa.
Da aber dem einstigen Deserteur der Aufenthalt in der k.u.k. Monarchie nicht erlaubt wird, geht er nach Berlin, wo seine Frau einen Sohn zur Welt bringt, die Ehe jedoch aus Bettauers Verschulden geschieden wird. Während Olga, die geschiedene Frau, mit dem Sohn Heinrich nach New York zurückgeht, bleibt Bettauer in Berlin und versucht es als Reporter bei der neugegründeten Morgenpost. Mit Attacken auf die Polizei, der er Unfähigkeit und Untätigkeit nachweist, erregt er bald Aufsehen, und als er die korrupten Machenschaften des Direktors des Berliner Hoftheaters aufdeckt, der sich seiner Verantwortung durch Selbstmord entzieht, auch Entführungen und Morde an Kindern durch einen reichen Berliner Bürger aufdeckt, wird er, als lästiger Ausländer, permanent polizeilich überwacht, zwölf Mal gerichtlich verurteilt, muss sogar eine Gefängnisstrafe absitzen, worauf er seinen Job bei der Morgenpost verliert. Schließlich wird er „wegen Gefährdung der öffentlichen Ruhe, Ordnung und Sicherheit“ aus Preußen ausgewiesen.
Er flieht nach München, schreibt für das berühmte Kabarett Elf Scharfrichter, wechselt jedoch bald nach Hamburg, wo er Chef der gastronomischen Fachzeitschrift Küche und Keller wird, die auch in Österreich ihre Abnehmer hat. Am 1. April 1904 wird ihm die polizeiliche Ausweisungsverfügung nun auch in Hamburg zugestellt.
Er beschließt, noch einmal nach den Vereinigten Staaten zu gehen; diesmal mit der 18-jährigen Helene Müller, die er an Bord des Schiffes heiratet. In der Stadt Phoenicia, im Staat New York, wird Bettauer wieder Vater eines Sohnes, den er Reginald nennt. Neuerlich wird er Mitarbeiter deutschsprachiger Zeitungen, deren Auflagen sich durch seine Fortsetzungsromane bedeutend steigern. Bettauers Kolportagekrimis unterscheiden sich von ähnlicher Trivialliteratur jedoch durch direkten Gegenwartsbezug und sozialkritische Tendenz.
Als Kaiser Franz Josef zum Anlass seines Regierungsjubiläums Generalamnestie erlässt, hofft auch Bettauer, endlich in die lang entbehrte Heimat zurückkehren zu können. Doch das amerikanische Konsulat bringt ihm zur Kenntnis, dass diese „Allgemeine Amnestie“ für ihn, Bettauer, nicht gelte. Ungeachtet dessen gelingt es ihm dennoch, samt Familie in Österreich einzureisen und sich in Graz niederzulassen. 1910 arbeitet er bereits wieder als Redakteur und Spezialkorrespondent mehrerer in- und ausländischer Zeitungen, bearbeitet Memoiren berühmter Adeliger und kann mit Fortsetzungsserien der New Yorker Romane nun auch in Wien erstaunliche Erfolge buchen.
Bei Ausbruch des Weltkriegs sucht der einstige Deserteur neuerlich um Aufnahme in die k.u.k. Armee an, aber der nunmehr amerikanische Staatsbürger wird abgewiesen. Er wird Berichterstatter von der polnischen Front, und in den ersten Nachkriegsjahren Europakorrespondent mehrerer amerikanischer Zeitungen. Durch seine darin veröffentlichten Wiener Briefe gelingt es ihm, große Spendenhilfsaktionen für die hungernde Bevölkerung und Finanzen für den Wiederaufbau zu erwirken.
Er schreibt drei bis fünf Romane jährlich, von denen einige auch mit namhaften Schauspielern verfilmt werden. Neben Die freudlose Gasse werden sowohl der Roman als auch der Film Die Stadt ohne Juden zu einem skandalträchtigen Erfolg, der alle antisemitischen Christlichsozialen und rechtsradikalen Großdeutschen zu einer beispiellosen Hetzjagd auf den „jüdischen Kloakenpoeten und Sittenzerstörer“ aufsitzen lässt.
Als Gipfel „jüdischer Sittenverderbnis“ bringt Bettauer auch noch die Wochenzeitschrift Er und Sie heraus, welche sich sexuelle Aufklärung zum Ziel setzt und schon nach der zweiten Nummer eine Auflage von 60.000 Stück erreicht. Damit ist der Fall Bettauer allerdings in die Bereiche der Parteipolitik geraten. Dem Roten Wien wird von seinen Gegnern eine Schutzauftragsfunktion bei der „Zerstörung christlicher Werte durch jüdische Zersetzer“ zur Last gelegt. Rathaus und Parlament dröhnen täglich von Schreiduellen. Es kommt sogar zu Handgreiflichkeiten der Abgeordneten und schließlich zur polizeilichen Beschlagnahme der Zeitschrift. Gegen Bettauer und seinen Mitherausgeber wird ein öffentliches Gerichtsverfahren wegen Pornografie durchgeführt, die Anklage von den Geschworenen aber als „unzutreffend“ abgewiesen, die Beklagten werden freigesprochen. Dieser Freispruch bewirkt jedoch, dass sich die Hetze gegen den Autor und Herausgeber von Er und Sie zur direkten Judenhatz steigert, in öffentlichen Lokalen, Versammlungen und politischen Gremien wird immer öfter, ohne Einschreiten der Polizei, nach Lynchjustiz und „Volksnotwehr“ gerufen.
Am 10. März 1925 fühlt sich ein junger, arbeitsloser Nationalsozialist „durch Stimmen“ dazu aufgefordert „das Volk von jüdischer Zersetzung zu befreien“, begibt sich in die Redaktion zu Bettauer und gibt fünf Schüsse auf ihn ab, an deren Folgen der Schwerverletzte sechzehn Tage später stirbt. Dr. Walter Riehl, Anwalt des Attentäters Otto Rothstock, gelingt es, den Täter nicht als Mörder sondern als Sinnverwirrten zur Beobachtung in die Psychiatrische Klinik überstellen zu lassen und ihn so wenig später freizubekommen. Dr. Riehl ist nicht nur zufällig auch der Gründer der Österreichischen Nationalsozialistischen Partei. Er wird 1927 auch die Mörder von Schattendorf freibekommen, was den Volksaufstand auslöst, bei dessen Gewaltaktionen der Justizpalast angezündet wird und viele Menschen durch schießwütige Polizisten ihr Leben verlieren. Kurze Zeit später wird Otto Rothstock als „normal“ aus der Klinik entlassen und kann durch eine Spendenaktion „Nationaler Kreise“ eine Zahnarztpraxis eröffnen. Robert Musil wurde dem ermordeten Humanisten Bettauer gerecht, indem er sagte: „Es leitete ihn die ehrliche Überzeugung zu bessern und er fiel für die vornehmste Aufgabe seines Berufs: auszusprechen, was man für richtig hält.“
Die Reihenfolge der Szenen ist der Dramaturgie der jeweiligen Inszenierung vorbehalten. Nicht alle Szenen sind zum Verständnis der Fabel unbedingt notwendig. Die gegebene Reihenfolge ist nur ein Vorschlag. Alle Darsteller sollten mehrere Rollen spielen. Die Schauplätze sollten nur exemplarisch angedeutet werden. Bettauer sollte durch keinen all zu bekannten Schauspieler besetzt sein. (Conny Hannes Meyer)